Ich bin draußen
im Garten
Biennale Venedig
15 06.2003 - 02.11.2003
Wer in den Giardini, dem Hauptareal der Nationenpavillons
der Venedig Biennale auf ein ruhiges Plätzchen hofft,
wird in Echtzeit eines Besseren belehrt. In all dem Trubel
sind dennoch einige Glanzpunkte verborgen.
"Darf's auch ein bisschen mehr sein?"
Beinahe hysterisch geht es zu, auf dem Gelände der
Nationenpavillons. Besonders dort, wo man es zunächst
nicht erwartet; so auch Im Schweizerischen Pavillon, bespielt
von Emmanuelle Antille. Die 30 jährige, aus Lausanne
stammende Künstlerin macht Kunst mit Video. Ihre, jeglichen
werbeästhetischen Ansprüchen genügenden Produktionen,
thematisieren das im Verborgenen liegende Verdunkelte der
Menschenseele. Da beißt eine Mutter so zärtlich
in das Bein ihrer erwachsenen Tochter, als wäre sie noch
ein Säugling. Oder ein junger Mann schleudert sich solange
auf eine Sonnenliege, bis er sie zerbrochen hat. Antilles
Arbeiten überzeichnen die bestehenden Risse in der gekannten
Oberfläche unsere Welt, und legen Stellen bloß,
die wir lieber schon versteckt lassen würden.
Subtil rechnet sie bildnerisch vor, wie nah an der Grenze
zum Abgrund wir ständig taumeln. Ihr Biennale Beitrag
Angels Camp setzt diese Tradition farbenfroh und großformatig
fort. Auf drei, räumlich versetzt, angeordneten Leinwänden
feiern junge Menschen am Strand ihr Leben und vor allem sich
selbst; Selbstzufriedenheit als Symbol fürs Paradies.
Und eben dieses wird plötzlich zerfetzt. So wie der Tintenfisch,
der - an den Strand gespült - von den Protagonisten mit
Silvesterkrachern in die Luft gejagt wird.
Der angenehme Gesamteindruck des Schweizerischen Pavillons
wird dann doch etwas getrübt; durch die Installation
eines kleinen Bandspielplatzes, zu derem müden Sound
Emmanuelle sich zu allem Überfluss entschied, selbst
zu singen. Nicht, dass ihre Stimme die Schlechteste wäre,
nur steigert sie den ohnehin grenzwertig eingesetzten Kitsch
ihrer Installation ins kaum mehr erträglich Schwüle.
In gegenüberliegender Nachbarschaft, im Dänischen
Pavillon verbrennt sich der Topstar Olafur Eliasson an seinem
Feuerwerk ein wenig die Finger. Viele ältere und neuere
Ideen sind etwas überstürzt zusammengewürfelt
worden; eine mit Prismen versehene Guckluke, ein Gelblichtraum,
der alle Farbinformationen aus Kleidern und Gesichtern herausfiltert.
Im nächsten Raum belustigt eine in die Decke eingearbeitet
Lupe, die das Abbild eines saftigen Baumes direkt auf eine
runde Fläche projiziert. Ein Hingucker im besten Sinne
ist ein in einem eigenen Raum präsentierter, silbern
schimmernder Vielflächer. Der mit unzähligen Ein-
und Ausgucken versehene Koloss, ist innen komplett verspiegelt
und beansprucht die, die ihn betreten, alleine mit der Menge
der Gesichter, die aus und in alle Richtungen zur selben Zeit
blicken. Denn wer von außen hinein schaut, der wird
ins Vielzählige gespiegelt und multipliziert.
Wer ist's, der da ins Innre spitzt? Und aus welchem Winkel
kommt sein Blick?
Die Fülle an Information macht die Frage derart obsolet,
dass man sich in aller Ruhe dem visuellen Konsum hingeben
kann.
"Hier geht's lang."
Wo in diesem Jahr der Barthel den Most holt, zeigt der
Spanische Pavillon. Und zwar mit kilometerweitem Abstand.
Der mittlerweile in Mexiko lebende spanische Künstler
Santiago Sierra überklebte leger das Schild 'Spain' über
dem Haupteingang, den er seiner Funktion komplett enthob,
indem er ihn mit einer groben, unverputzten Betonmauer verschloss.
Der Raum dahinter kann über den eigentlichen Notausgang
an der Rückseite betreten werden - allerdings nur mit
gültigem spanischem Pass. Sierra trifft damit eine ganze
Fülle von Wunden; die, für viele obsolet gewordenen
Nationenpavillons, die, der - auch in der Kunst - noch immer
existierenden Nationengrenzen, und zuletzt das immer lauer
und unglaubwürdiger werdende Gewäsch über die
Möglichkeit aller überall dabei sein zu können.
Where do you want to go today? Definitely not into the Spanish
Pavilion!
Das zweite strahlende Sternchen der Schau ist vielmehr eine
kleine Perle; Maurizio Cattelan, der leicht grobschlächtige
Dandy des internationalen Kunstzirkus, lässt einen kleinen
Jungen auf einem Dreirad umherfahren. Natürlich ist es
kein Menschenkind, was da die Erwachsenen ärgert, sondern
eine lebensgroße, bewegliche Figur. Obwohl er an all
dem gezeigten Elend zu verzweifeln scheint, guckt der kleine
Kerl rotzfrech drein, wenn er einem in die Beine oder über
die Füße fährt. Der 'Bambino' erster Kategorie
lotet dabei ebenso schlicht wie nachdrücklich jene Grenzen
aus, die beinahe alle der restlichen Arbeiten von ihren sicheren
Standpunkten aus noch nicht einmal sehen können. Und
macht das gesamte Biennale Gelände augenscheinlich zu
dem, was es eben ist: Ein gigantomanischer und überhitzter
Spielplatz der Kunstwelt.
Wieder einmal gelingt es Cattelan treffend und ohne abgedroschene
Parolen zu provozieren, wie auch noch bis Mitte September
in Köln, wo der Bruder des Dreirädlers auf dem Museum
Ludwig sitzt und eine Blechtrommel schlägt.
Es ist definitiv symptomatisch für diese Biennale, dass
die seit Jahren in berechtigter Kritik stehenden Nationenpavillons
die Großschau vor ihrem Absturz in die Bedeutungslosigkeit
retten. Dort werden - im Gegensatz zu den durch Bonami und
seine 10 Freunde kuratierten Ausstellungen - wesentlich mehr
Arbeiten gezeigt, die sich noch nicht wie alte Bekannte anfühlen.
Vielleicht sollten 2005 die Nationen und ihre Regierungen
die Arsenale Ausstellung zusammenstellen. Das wäre endlich
echte Demokratie in der Kunst!
Gibt es in Venedig jemanden, der so etwas entscheiden kann?
Oder die Verantwortung übernähme? |
|
|
|
|