Ich kann doch nichts
dafür!
Biennale Venedig
15 06.2003 - 02.11.2003
Was Francesco Bonami und sein überdimensioniertes Team
in Venedig versammelt haben, ist enttäuschend. Neben
den verwirrenden Ausstellungen verblüfft vor allem die
offensichtliche Unlust der Kuratoren, Verantwortung zu übernehmen
oder eine Richtung vorzugeben.
Der kleine Francesco
Mehr als zehn Kollegen hat der Direktor der diesjährigen
Biennale um sich geschart, um die Arsenale mit Kunst zu füllen.
Das Werftareal im Osten der Stadt war von Harald Szeeman,
anlässlich der 48. Ausgabe des Biennale Klassikers im
Jahr 1999, reaktiviert worden.
Die Ausstellung im ersten Gebäude dieses alternden Komplexes
wurde von Bonami höchstpersönlich zusammengestellt
und wirkt wie der Start zu einem Marathonlauf ohne Aufwärmphase.
Hier gibt's kein "Auf die Plätze" und auch
kein "Fertig"; hier geht es sofort "Los!"
Keine Linien, noch nicht einmal Linchen sind erkennbar. Dringend
sollte man Bonami fragen, warum er derart viel versprechende
Talente wie Amelie von Wulffen in einen undankbar gelegenen
Raum am linken Rand abschiebt, dessen Eingangsöffnung
auch noch viel zu groß ist.
Das scheint zum Titel Clandestini, zu Deutsch 'Geheimnisse'
passend, doch hebelt sich dieser Eventuell-Kniff selber aus.
Nirgends wird klar, wo, wann, wie oder ob überhaupt das
große geheime Unbekannte enthüllt werden kann.
Lediglich Monika Sosnowska vermag in dieser faden Suppe zu
überraschen. Ihre Installation - ein Gang, der schneller
niedriger und enger wird, als seine Perspektive zunächst
vorgibt - zeigt spielerisch wie unbeweglich Größe
und Überlegenheit bisweilen machen.
Nach diesem als Alleingang des Direktors zelebrierten Einstieg
übergibt Francesco nun das Zepter an Kollegen, und die
führen seinen Weg nicht nur fort, sondern setzten noch
eins drauf: Gilane Tawadros überschwemmt seinen Raum
mit einer gehörigen Überdosis des Südafrikaners
Moshekwa Langa, dessen aktueller Werkreihe Waiting.
In die andere Ecke des Raumes gespült, empfängt
unsanft die barock-schwüle Photographie des Nigerianers
Rotimi Fani-Kayode, die bereits beim Versuch scheitert, Thomas
Ruffs Fähigkeit zur Analyse mit Velazques Gefühl
für Farbe zu kombinieren. Sicher könnte man sich
dennoch ganz passabel fühlen in Tawadros Welt; doch trägt
der seine Melodie derart plump und laut vor, dass man davon
laufen möchte, und es alsbald auch tut.
Der nächste Raum, unter dem wenig originellen Titel Individual
Systems, wird überraschenderweise von einer gekannten
Arbeit gerettet: Simon Starlings Flag. Der in Glasgow
lebende Schotte ist mit einem 1972 in Italien produzierten
Fiat nach Polen gereist, wo dieser Wagen noch immer produziert
wird. Dort hat er rote Teile der Karosserie in weiße
umgetauscht. Der kleine Fiat wurde somit zur fahrenden polnischen
Flagge und zum Symbol für die Mehr-Klassen-Gesellschaft
der globalisierten Weltwirtschaft.
In der nächsten Abteilung, der Zone of Urgency, kuratiert
von Hou Hanru, steigert sich die Verwirrung über Sinn
und Richtung in die Angst, absolut verrück zu werden.
Hier lärmt und tönt es aus allen Rohren, hier stöhnen
junge Menschen in einer gefakten Orgie vor bravem Galeriepublikum,
hier spielen weiße Hochhäuser Schach mit schwarzen
Flugzeugen, hier muss - bevor alles zu spät ist - Sauerstoff
verabreicht werden.
Und im Zentrum, lässig auf einer Rampe geparkt, steht
ein vollverchromter Militärjeep, eine Arbeit der philippinischen
Künstler Alfredo und Isabel Aquilizan, in dessen antiseptisch
wirkendem Lack sich all das Überzeichnete der wirren
Zone of Urgency nochmals fokussiert spiegelt.
Utopia Station, what for?
Diesem Raum hoffentlich ohne größere Blessuren
entkommen, eilt man durch die Sektionen von Carlos Basualdo
und Catherine David, wo es leider weder Neues noch besonders
Interessantes zu entdecken gibt.
Frau David hatte scheinbar ohnehin nicht die Zeit für
ein intensives Engagement in Venedig; andernfalls würde
sie hier wohl kaum die Light-Version einer Ausstellung zeigen,
die vor Monaten in Barcelona startete und über Rotterdam
und Umeå schließlich ihren Weg nach Venedig fand.
Der Abschluss der Arsenale, die Utopia Station, setzt dem
Ganzen die Krone auf. Was das Dreigestirn Molly Nesbit, Hans-Ulrich
Obrist und Rirkrit Tiravanija hier versammelt hat, ist schlicht
ein Desaster. Ihnen ist es trotz Teilnehmern wie Liam Gillick,
Rodney Graham, Olafur Eliasson und Ilya Kabakov gelungen,
ein Kuddelmuddel zusammen zu kuratieren, dass den Rest der
Arsenale spielerisch in den Schatten stellt. Darüber
hinaus zeigt sich hier, in welchem Maße bühnenartige
Raumeinbauten, die verschachtelte Elemente entstehen lassen,
für die Präsentation zeitgenössischer Kunst
ausgedient haben. Die Ausstellungsarchitektur funktioniert
so schlecht, als würde eine Theaterbühne den auf
ihr umherschweifenden Figuren ein Bein nach dem anderen stellen.
Das führt schlussendlich zu folgender Erkenntnis: Die
Utopia Station muss sofort evakuiert, mit Hilfe eines Waldbrandlöschhubschraubers
in Kunstharz eingegossen und dann von diesem auf dem Markusplatz
abgestellt werden. Im besten Falle mit Bonami als Copilot,
der die Seilwinde bedient und fortan selbstzufrieden strahlen
würde, wie ein Chirurg, der sich selbst einen bösartigen
Tumor entfernt hat.
Damit würde der Ausstellungsleiter auch das fahle Gefühl
aus unser aller Münder waschen, das seine Politik der
vielen Kuratoren hinterlassen hat. Sicherlich spiegeln viele
Beteiligte viele Meinungen wider, was Facettenreichtum und
so weiter transportiert. Doch eine schwache Idee, wird eben
keine starke; auch nicht, wenn man behauptet, das Starke ist,
dass es kein Starkes gibt.
(Un)gefährliche Nähe.
Wie die aktuelle Ausgabe des Kunstmagazins art
berichtet, hütet sich Francesco Bonami vor Künstlerfreundschaften,
um weiter vollkommen frei und unvoreingenommen kuratieren
zu können. So harmlos und beiläufig dieser Satz
auch klingen mag, in ihm zeigt sich perfekt verpackt des Pudels
Kern:
Bonami hat - im Prinzip - mit allen seinen Aussagen Recht,
oder, zumindest nicht wirklich Unrecht.
Es mag plausible Gründe für einen Kurator geben,
sich von Künstlern fern zu halten. Es stimmt auch, dass
viele gleich berechtigte Kuratoren eine Schau zusammentragen,
die autonome Sektionen aufweist und Mannigfaltiges widerspiegelt.
Doch wem nutzen mehr oder weniger nachvollziehbare theoretische
Überlegungen, die in der Praxis zu grotesken Auswüchsen
mutieren? Weder der Kunst, noch dem Publikum und auch nicht
Bonami selbst.
Auch wenn selbst diese Biennale für den Kunstmarkt ein
ordentliches Triebwerk war, muss Bonami über seinen Schatten
springen. Und er muss beginnen, sich in der gebotenen Intensität
mit den Menschen zu beschäftigen, mit deren Arbeiten
er seine nächsten Ausstellungen zu gestalten gedenkt.
Sonst gehen bald nur noch die Galeristen mit ihm essen. |
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